Portraet
Namenszug

Leseprobe Bei Regen und bei Sonnenschein:
Als Deutscher unterwegs

Tiger klein

Hier das Kapitel Als Deutscher unterwegs aus meinen Reiseerinnerungen Bei Regen und bei Sonnenschein. Im Buch ist eine leicht überarbeitete Version enthalten. Wer nicht online lesen möchte, kann es auch als pdf herunterladen.



Ich war ein Deutscher und wie den meisten Leuten in meiner Generation war mir das ziemlich egal. Man hatte einen Personalausweis, man ging zur Wahl, man hielt zur Nationalmannschaft. Das war's.

Und dann unternahm man eine Weltreise. Ein dreiviertel Jahr lang war man für alle, denen man begegnete, »der aus Deutschland« oder, noch kürzer ausgedrückt, »der Deutsche«.

In New York, meiner ersten Station, war das vollkommen ohne Belang. Hier traf ich Einwohner, die schlechteres Englisch sprachen als ich. Die Werbeanzeigen in der U-Bahn waren zu einem guten Teil auf Spanisch oder Chinesisch abgefasst. »Hauptstadt der Welt« nannten die New Yorker ihre Heimat, und das lag nur zum Teil am Hauptsitz der Vereinten Nationen. Das Völkergemisch der Metropole war nicht mehr zu übertreffen.

Dennoch war ich überrascht von den Gothic-Clubs. Nicht wegen der gestylten Leute, die traf man auch in Deutschland. Aber wegen der Musik. Die Hälfte der Songs kam von deutschen Bands. Ein Drittel des Gesangs war in deutscher Sprache. Später auf meiner Tour durch die USA war ich verwundert, zu erfahren, wie viele Amerikaner diese Texte auch verstanden, weil sie Deutsch lernten. Freiwillig. In Abendkursen. »Warum?«, fragte ich mich. Chinesisch, die Sprache der angeblich kommenden Weltmacht, war schwer zu erlernen, zugegeben. Aber Spanisch, das wäre doch nützlicher gewesen, gerade da Mexiko vor der Haustür lag und Südamerika auch vergleichsweise nahe war. Was wollte man mit Deutsch?

Da welkten gleich zwei der Vorurteile dahin, die ich bei meiner Abreise in meinen Trekking-Rucksack gepackt hatte: die Egozentrik der US-Amerikaner und die Bedeutungslosigkeit meines eigenen Heimatlandes.

Denn die Amerikaner wussten sehr wohl, wovon sie sprachen, wenn sie mit dem Finger über die Weltkarte fuhren. Natürlich, patriotisch waren sie, aber fremde Kulturen faszinierten sie ebenso wie uns. Kennen Sie ein Reiseziel, an dem Sie keine Amerikaner treffen? Kaum, denn sie sind viel unterwegs. Vom Militär mag man halten, was man will, aber die Navy schickte ihre Matrosen auf alle Weltmeere, US-Basen überzogen den Globus wie Masern. »Ich komme aus einer Airforce-Familie«, erzählte mir ein Club-Besucher auf Hawaii. »Ich bin in Ramstein aufgewachsen.« »Deutschland ist okay«, meinte ein Surfer, »meine Jugend in Bayern hat mir gut gefallen. Nur nicht, dass sie mich in die Hauptschule gesteckt haben.«

Die Strahlkraft der deutschen Kultur hatte ich vollkommen unterschätzt. Natürlich wussten die Amerikaner vom Leben des Durchschnittsdeutschen genauso wenig wie die Deutschen von Wyoming. Aber die Bundesrepublik galt dort nicht als irgendein kleines, weltpolitisch unbedeutendes Land im Nirgendwo. Die USA standen ganz an der Spitze, und dann kam eine Weile lang gar nichts, das war klar. Aber dann kam Deutschland, auf einer Höhe mit Russland und China. Eine Stimme, die im Weltkonzert nicht ignoriert werden konnte. So zumindest erschloss es sich mir aus den Diskussionen, die ich in drei Monaten USA führte, und das verblüffte mich sehr. Wir – eine wichtige Nation? Wir – ein Land, auf das die Welt hörte? Wir – bedeutend? Wie ungewohnt. Wie merkwürdig.

Deutschland faszinierte den Bibliothekar in Tucson, Arizona. Während draußen die Kakteen in der Wüstensonne rösteten, wanderte sein Blick durch Raum und Zeit, zu Goethe, Schiller, zu Mercedes und Volkswagen. So erzählte er mir von dem Abendkurs in deutscher Sprache, der ihm so viel Freude machte.

Ob wir die Amerikaner überhaupt noch lieb hätten, diese Frage kam überraschend oft. War sie naiv oder war sie einfach nur offen? Wäre sie auch gestellt worden, wenn man sich überhaupt nicht für die Meinung der anderen interessiert hätte? Franzine sprach sie als Erste aus, eine italienisch-stämmige Amerikanerin, die 18 Monate in Indien gelebt hatte, Tantra-Lehrerin gewesen war und nun als Kindergärtnerin arbeitete. Wie standen wir in Deutschland (diesem wichtigen Land) zu den Amerikanern, wo doch der Krieg im Irak war und Präsident Bush die Weltöffentlichkeit permanent vor den Kopf stieß?

Da war ich in dieser Zwickmühle: Wie sollte ich beantworten, wie »wir Deutsche« dazu standen? Wer waren denn »wir Deutsche«? Mein Freundeskreis, war der »wir Deutsche«? Oder die anderen 80 Millionen, die ich selbst nur aus dem Fernsehen kannte? Die »Verbotene Liebe« zum Dauerbrenner machten? Wenn die »wir Deutsche« waren, gehörte ich dann überhaupt dazu? Erschwert wurde diese Antwort noch dadurch, dass ich die Invasion des Irak für eine gute Sache hielt, nur aus den falschen Gründen begangen. Wenn jemand das Richtige aus den falschen Motiven tat, wie scharf sollte man ihn deswegen verurteilen?

Aber, und das wurde mir in den folgenden Wochen vollkommen klar, aus dieser Falle konnte ich nicht entkommen. Mit den Menschen, denen ich begegnete, verbrachte ich jeweils nur wenige Stunden, dann zog ich weiter. Da blieb für differenzierte Darlegungen wenig Raum. Für sie war ich »der Deutsche« und egal, wie sehr ich auch beteuerte, dass ich nicht für »die Deutschen« sprechen konnte – was ich sagte, würde immer die Aussage »des Deutschen« sein, und wenn ich fort war, dann hatten meine neuen Bekanntschaften »einen Deutschen getroffen und der hat das und das gesagt«.

Zurück an den Tisch im Diner in New York, an dem ich mit Franzine und Jackie saß, nachdem diese mich aus dem Club entführt hatten. Ich hatte einen wirklich hellen Moment und verwendete die Formel, die ich bei dieser Frage immer wieder nutzen würde: »Wir Deutsche sehen die Amerikaner als unsere guten Freunde. Es gibt nur einen einzelnen Amerikaner, der in einem weißen Haus lebt und mit dem wir nicht immer einer Meinung sind.«

»Das würde ich sofort unterschreiben«, meinte ein Teenager in Gettysburg ein paar Wochen später. Gettysburg, wir erinnern uns: das bedeutendste Schlachtfeld des amerikanischen Bürgerkrieges. Dort gab es mehr Flaggen als Einwohner. »Patriotismus« wurde dort in Großbuchstaben geschrieben. Ich hatte beim Licht einer Kerzenlaterne eine Geister-Tour mitgemacht, mit Gruselgeschichten über die Erscheinungen, die den Bewohnern angeblich den Schlaf raubten. Solche Führungen waren eine Marotte der Amerikaner, es gab sie in jeder Stadt. Und nach getaner Arbeit stellte mir die Erzählerin die gleiche Frage, die Franzine mir in New York gestellt hatte: ob wir denn die Amerikaner noch mögen würden, wir Deutschen? Sie würde nicht die Letzte sein, aber diese spezielle Situation würde mir am deutlichsten in Erinnerung bleiben. Eine Gruppe von etwa 20 Leuten stand dicht gedrängt auf einer engen Treppe, ganz vorn die Erzählerin in ihrem viktorianischen Kostüm, die Laterne in der Hand. Nach ihrer Frage hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Alle Gesichter waren auf mich gerichtet, gespannt, beinahe furchtsam vor dem Urteil des Deutschen, des Repräsentanten dieser bedeutenden Nation. So stellte ich mir den Gesichtsausdruck von jemandem vor, der dem Spruch des internationalen Gerichtshofes entgegen bangte. Als ich dann meine Standard-Antwort möglichst verbindlich vortrug, entspannten sich die Züge, die Schultern strafften sich. Man war erleichtert, rief Zustimmung zu der unterstützenden Erwiderung des Teenagers. Allein – ich war verwirrt. Warum war es so wichtig, was ich zu dem Thema dachte, was die einzige Supermacht der Welt zu tun und zu lassen geruhte? Ich verstehe es nicht. Bis heute nicht.

Belize, ein Land, von dem ich vor meiner Reise noch nicht einmal gewusst hatte, dass es existierte. Meinen Aufenthalt dort verdankte ich der Tatsache, dass die Flugverbindung von Miami nach Belize City besser war als die nach Guatemala-Stadt. Merkwürdige Sitten hatte man in diesem Karibik-Staat. Wenn eine Pension keine 24-Stunden-Rezeption besaß, und meine besaß keine, dann wurden um 2200 Uhr alle Türen verschlossen. Nach 2200 Uhr hatte man auf der Straße nichts mehr verloren, hieß es. Außerdem könne man ja ausgeraubt werden, und dann sei der Schlüssel wieder im Hotel, bevor man selbst da sei und sein leeres Zimmer bestaunen könne.

Ich saß mit einem kanadischen Gast auf der Veranda, die zur Straße herausging, als ein Einheimischer des Wegs kam und nach unseren Namen und Nationalitäten fragte, was wir artig beantworteten.

»Ah ja!«, rief er zu uns herauf. »Ich habe schon gehört, dass ein Deutscher in diesem Haus abgestiegen ist. Ich habe meine Geschichtsstunden gehabt, hörst du? Hitler! Du kennst doch Hitler! Sechs Millionen Juden hat er ermordet. Ich bin gekommen, um dir zu sagen: Du bist auf unserer Liste! Wir werden dich umbringen, du Deutscher!«

Ich holte mir lieber weiter von dem Kanadier Tipps zu meinem letzten Reiseziel Ägypten, bis der Mann seines Weges zog. Im Hinterkopf aber überlegte ich, ob sich der schimpfende Einheimische überhaupt sehr von diesem Hitler unterschied, den er so hasste, wenn er jemanden umbringen wollte, der 27 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geboren worden war. Ganz zu schweigen davon, dass die Bundesrepublik das zweite Land gewesen war, das die Unabhängigkeit Belizes anerkannt hatte. Und dass die Mennoniten, die im weiteren Sinne deutschstämmig waren, 50 Prozent des landwirtschaftlichen Ertrages erwirtschafteten, obwohl sie nur zwei Prozent der Bevölkerung seines schönen Heimatlandes stellten.

Konnte ich stolz darauf sein, ein Deutscher zu sein? Für mich war die Antwort darauf immer ein klares Nein gewesen. Solchen Stolz brachte ich stets mit kahl geschorenen Rechtsradikalen in Verbindung. Ich war seit meiner Kindheit der Meinung gewesen, man hätte nur stolz auf Dinge sein können, die man selbst erreicht hatte. Ebenso konnte ich mich aber nur schuldig fühlen für Sachen, die ich selbst verschuldet hatte. Ein Weltkrieg, zu dem ein bösartiger Österreicher die allzu bereitwillige deutsche Bevölkerung 33 Jahre vor meiner Geburt verführt hatte, gehörte da nicht dazu.

»Österreicher« passt ganz gut in die Reihe. Während ich auch in Guatemala des Öfteren über den »punto negro«, den schwarzen Fleck in der deutschen Geschichte belehrt wurde (das schien ein beliebtes Thema in zentralamerikanischen Schulen zu sein), war ein Österreicher, den ich in der Jugendherberge in Waikiki traf, eher genervt: »Ihr Deutschen mit eurem Schuldkomplex«, ächzte er. »Schau doch mal uns an: Damals gab es Jubelumzüge wegen dem Sprung heim ins Reich, und jetzt sind wir halt die ersten Opfer gewesen. Ihr müsst mal etwas Pragmatismus lernen.«

So taumelte ich über den amerikanischen Kontinent, ich Deutscher, ständig konfrontiert mit einer Frage, die mich bislang überhaupt nicht interessiert hatte. Was bedeutete es für mich, Deutscher zu sein? Bedeutete es überhaupt etwas? Patriotismus war ein Gefühl, das ich nur bei anderen zur Kenntnis nehmen konnte, selbst gespürt hatte ich es noch nie. Ich respektierte, dass man vor dem Rodeo aufstand und die Hand auf das Herz legte, während die Lobeshymne auf das Sternenbanner erklang, ich staunte über gigantische mexikanische Flaggen. Und ich wurde immer wieder mit der Tatsache konfrontiert, dass man mich als Deutschen sah und wahrnahm. Es waren die kleinen Nebenbemerkungen, die den stärksten Eindruck hinterließen. Zum Beispiel in einem Lokal in Washington, in dem mir der Wirt den Weg erklärte. »Es ist nicht gerade in der Nähe, du musst den Wagen nehmen. Zu Fuß kannst du nicht gehen. But – well, you are a German, you can do everything. Obwohl – na ja, du bist ein Deutscher, du kannst alles.«

Auch verblüfften mich die vielen deutschen Siedlungen überall auf der Welt. Ja, die Briten, die hatten ihr Kolonialreich gehabt, und die Franzosen auch. Aber dass es, von Tansania und Namibia abgesehen, signifikante deutsche Siedlungen anderswo auf der Welt gab, das war mir nicht präsent, obwohl ich natürlich wusste, dass Deutsch beinahe Amtssprache der USA geworden wäre. Umso überraschter war ich, die vielen deutschen Namen an den Restaurants in Pennsylvania zu lesen und zu erfahren, dass die Bibeln der Amish dort auf Hochdeutsch verfasst waren, was allerdings nicht deren Muttersprache war – denn das war Schweizerdeutsch. Die Mennoniten in Belize habe ich erwähnt. Aber das waren noch lange nicht alle. Aus Chihuahua, Mexiko, konnte ich meiner Tante eine Postkarte schicken mit einem mexikanischen Mädchen darauf – mit blonden Haaren und leuchtend blauen Augen, die aus dem hellen Gesicht schienen. Denn auch dort gab es Mennoniten. Dass Thailand ein beliebtes Reiseziel war, war allgemein bekannt. Viele Deutsche waren auch dort hängen geblieben. Wie viele, das erkannte man daran, dass es dort kaum ein Problem war, ein Wiener Schnitzel zu ordern. Und »deutsche Bäckereien«, die waren in Asien angesagt. In Indien mehr noch als in Thailand.

Indien. Das ist ein Thema für sich, was das Reisen als Deutscher angeht. In Zentralamerika wollte man mich umbringen wegen Hitler. In einem Zugabteil in Gujarat, der Heimat Gandhis, kam ich mit zwei gebildeten Herren ins Gespräch. Sie trugen Anzüge, fuhren Zweiter Klasse, klimatisiert, nicht in der Dritten, deren Waggons den Großteil des Zuges ausmachten. »Der Hitler«, sagte der ältere und lächelte freundlich, »das war ein toller Mann, ein großer Segen für Indien.«

»Ja«, fiel der andere ein, »wenn der nicht gewesen wäre, dann wäre Indien heute nicht frei. Der hat die Briten so verprügelt, dass die ihr Weltreich einfach nicht mehr halten konnten.«

Überrascht war ich über diese Äußerungen nicht. Ich war schon eineinhalb Monate in Indien unterwegs. »Mein Kampf« gab es mindestens in jedem zweiten Buchladen. Normalerweise war es unter »Philosophie« einsortiert, zwischen Gandhi, Osho und dem Dalai Lama. Letzterer verbrachte ein paar Monate des Jahres in Darjeeling, im Himalaja, wo ich auch war. Dort besuchte ich das »Himalayan Mountaineering Institute«. Das war ganz am Beginn meines Indien-Abenteuers, deswegen war ich verwundert, auf der Übersichtskarte den Eintrag »Hitlers's Telescope« zu entdecken. Es handelte sich um ein Fabrikat der Firma Carl Zeiss, Jena, das der Diktator dem Oberbefehlshaber der königlich nepalesischen Armee geschenkt hatte – das entsprechende Foto hing über dem Gerät. Später erfuhr ich, dass man in Darjeeling ein Denkmal für Adolf Hitler hatte errichten wollen – wegen der zu erwartenden internationalen Verstimmungen hatte man dann davon abgesehen. Auch, dass die Mehrzahl der Studenten an der Universität Delhi Adolf Hitler als persönliches Vorbild ansah, überraschte mich inzwischen nicht mehr.

Vielleicht waren meine Mitreisenden auch an dieser Hochschule gewesen. Der jüngere fuhr fort: »Der Hitler, der hat uns voll unterstützt. Weil wir ja auch Arier sind.« Das war zutreffend. Zumindest für die Kaste der Brahmanen. Die ging auf die arischen Eroberer des indischen Subkontinents zurück. Die Nachfahren der ehemaligen Ureinwohner dagegen stellten heute die Unberührbaren. Und je nach »Mischungsverhältnis« befanden sich die anderen Inder irgendwo dazwischen. Wer den Angehörigen einer niederen Kaste heiratete, stieg in dessen Kaste ab. Er beging Rassenschande, wie man früher in Deutschland gesagt hätte.

»Der Hitler hat unsere Kultur sehr gemocht. Deswegen hat er ja auch ein Symbol aus Indien für seine Partei gewählt.« Er meinte das Hakenkreuz, das tatsächlich mit dem in Indien entstandenen, buddhistischen Symbol des Sonnenrades identisch war. Ob allerdings die mit dem Zeichen verbundene Symbolik die gleiche war, wagte ich zu bezweifeln. Dieses Symbol existierte in zwei Varianten, die sich in der Richtung der Haken unterschieden. Die eine stand für die Zukunft, die andere für die Vergangenheit. Der Weg zum pseudogermanischen Rassismus war jedenfalls recht weit.

»Und was ja das Wichtigste ist«, schloss der Alte, »der Hitler hat seinem Volk, das nach dem Ersten Weltkrieg am Boden lag, neues Selbstbewusstsein gegeben. Das brauchen wir hier auch, in Indien, nach der Kolonialzeit.«

Mit dieser dumm-nationalistischen Art des Deutsch-Seins konnte ich jedenfalls nichts anfangen, auch wenn ich deswegen in Indien Freunde hatte. Wenigstens das war eindeutig für mich.

In Ägypten, der letzten Station, begegnete ich einer Einstellung, die mir lieber war. Klar, auch hier würde man als Europäer immer »der mit dem dicken Geldbeutel« sein, und die Leute waren eher an Banknoten als am Menschen interessiert. Aber sie waren dennoch nett. Viele sprachen gebrochen Deutsch, zum Beispiel mein Kutscher in Assuan. Ich gab ihm ein Trinkgeld, als er mich vor dem Hotel absetzte. Er wollte sich bedanken, wollte wohl sagen: »Die Deutschen sind immer nett zu mir.« Mit den Vokabeln haperte es noch ein wenig, deswegen wurde daraus: »Deutschland – schöne Menschen!« Auch recht.

Die Konfrontation damit, »der Deutsche« zu sein, veränderte mich. Immer wieder musste ich mich diesem Thema stellen, versuchte, für mich eine Position zu finden. Zwischenzeitlich stellte ich mich vor mit: »Ich bin der Bernd, ich bin aus Europa.« Denn dieser Kulturraum, den ich grob mit »christliches Abendland« umreißen würde, ist etwas, mit dem ich mich mittlerweile identifiziere. Grundhaltungen, Grundwerte dieses Kulturraums sind Dinge, die ich für gut und richtig halte. Deutlich werden kann das an konkreten Beispielen. So bin ich der festen Überzeugung, dass das Individuum als solches einen Wert hat. Ein Mensch muss nichts tun, nichts leisten, um wertvoll zu sein. Das ist etwas, was unveräußerbar damit verbunden ist, dass er ein Mensch ist. Die Menschenwürde ist unantastbar. Diese Einstellung grenzt mich ab (und Abgrenzung schafft Identität) von anderen Kulturkreisen, vom Orient, von Asien, wo das Individuum genau so viel Wert ist, wie es zur Familie, zur Gemeinschaft beiträgt.

»Ich bin Patriot.« Vor meiner Weltreise hätte ich das von mir gewiesen. Inzwischen würde ich es unterschreiben – zögernd zwar, und noch immer nicht mit einem wirklich guten Gefühl im Bauch, aber ich würde es tun.

Fern der Heimat lernt man, das Vaterland zu lieben.