Raulo

Ah, gut, Ihr seid wach.

Ich kann verstehen, dass Euch der Schädel dröhnt. Im Blauen Schiff sagt man, Ihr hättet ein knappes Dutzend Weine verkostet, aber nicht in kleinen Schlucken, sondern jeweils mit einem vollen Becher. Dennoch, wir wollen zur Sache kommen. Ich bin sicher, Ihr habt nicht vor, diese Zelle zu Eurem Zuhause zu machen.

Nach Taladur? Das dachte ich mir schon. Ihr tragt nicht die Kleidung eines Tagelöhners, wie wir sie hier an den Kais sehen. Außerdem sind Eure Hände zu fein. Aber wollen wir uns nicht vorstellen, damit wir wissen, mit wem wir es zu tun haben? Ich bin Raulo Tandori, Burg-Capitan von San Cardasso. Mir unterstehen die Lilienröcke, die Euch hierherbrachten.

Ihr könnt Euch nicht erinnern? Dann seid Ihr das Trinken wohl nicht gewohnt?

Recht so. Es sollte nicht zur Gewohnheit werden. Zumindest nicht in dem Maß, das Ihr gestern Abend anlegtet.

Erkennt Ihr diesen Degen?

Ich dachte mir schon, dass es der Eurige ist. Wir haben uns erlaubt, das Stück Stoff, das an seiner Spitze stak, herunterzunehmen und seinem Besitzer zurückzugeben. Einem der Kadetten meiner Fechtschule, Sancho von Zalfor. Er braucht es nötiger als Ihr, schließlich wird er den Ärmel flicken wollen.

Ich bin mir nicht sicher, ob es Euch dauern sollte, an den jungen von Zalfor geraten zu sein. Seine Liebe zum Stahl ist nicht gerade innig. Er teilt eher Eure Leidenschaft für den Wein.

Schon gut, ich verstehe, der Trunk ist nicht Eure Gewohnheit. Ich will Euch nicht beleidigen. Dennoch: Seid froh, nicht an Tessano geraten zu sein. Er hätte Euch durchbohrt, bevor Ihr die Degenspitze ausgerichtet hättet. Er hat seine Ausbildung beinahe abgeschlossen.

Regt Euch nicht so auf. Ich könnte Euch gut und gern ein paar Tage hierbehalten für die Unruhe, die Ihr gestern veranstaltet habt. Dann könntet Ihr auch Bekanntschaft mit Doloresa Amazetti machen, ich schicke sie manchmal, um den Gefangenen das Essen zu bringen.

Ja, das ist sie. Ich sehe, Ihr habt von ihr gehört.

Auch das stimmt. Der Unhold in ihrem Gesicht lässt niemandem Ruhe. Ihr selbst am allerwenigsten.

Na, nehmt Eure Klinge schon zurück. Kein Edelmann soll ohne Degen gehen. Aber lasst Euch gesagt sein: In Taladur gibt es nicht wenige, deren Hände besser als die Euren gewohnt sind, den Griff einer Waffe zu umfassen. Gebt nicht zu viel auf die Gerüchte. Fremde werden willkommen geheißen. Wir sind in Almada, für eine Geschichte von Eurer Reise wird man Euch gern am Tisch haben. Aber achtet auf Eure Worte. Die Familias sind stolz.

Für Gold soll ich Euch lehren, die Klinge singen zu lassen? Sicher, auch das werdet Ihr brauchen, wenn es Euch nach einer Fechtstunde verlangt. Aber ich suche meine Schüler selbst aus. Und bei Euch sehe ich, verzeiht, dass Eure Sehnsucht eine andere ist. Ihr seid kein Soldat. Ich war auf Maraskan, habe unter dem Banner des Kaisers gefochten. Ich erkenne einen Kämpfer an seinen Augen. Ihr mögt ein guter Reiter sein, aber ...

Lassen wir das. Mein Tagwerk wartet, und wenn Ihr noch vor Sonnenaufgang in Taladur ankommen wollt, solltet Ihr Euch beeilen. Die Sonne hat den höchsten Punkt ihrer Bahn bereits überschritten.

Gehabt Euch wohl!

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Das Titelbild zu Türme im Nebel stammt von Alan Lathwell.